Umstrukturierung

Kreuzung ohne Vorrang

Cross-over-Studiengänge sind der letzte Schrei. Ein Schrei nach Anerkennung seitens der Wissenschaft. Einer nach Effizienz seitens der Wirtschaft. Ist die Kreuzung eigenständiger Studienrichtungen in einer komplexer werdenden Gesellschaft notwendig? Ist sie die logische Konsequenz für eine immer öfter als sperrig und abstrakt beargwöhnte universitäre Lehre? Und wie steht es dabei um die Gleichberechtigung der verknüpften Fächer? Eine Betrachtung.

Text: Simeon Koch

Cross-over ist fancy. Der Begriff geistert durch die verschiedensten Branchen. Mit kuriosen Konsequenzen. Die Cross-over-Küche zaubert intuitiv-exotische Gerichte mit klingenden Namen. Wem Seeteufel mit Lakritzsauce aber doch etwas zu gewagt erscheint, der kann seinen Drang nach der Kreuzung konträrer Komponenten in der Musik ausleben. Potpourris aus Klassik, Jazz und Rock sind schon länger en vogue. Auch die Autobranche verfällt zusehends der Affinität für den ausdrucksstarken Anglizismus. Mit der Bestrebung, das Beste aus verschiedenen Welten zu kombinieren, entstehen motorisierte Mischwesen. Die Biolog*innen unter uns werden mit Recht anmerken, dass der Begriff doch eigentlich der Erblehre entstammt. Stichwort DNA-Crossing-over. Für die Bio-Banaus*innen unter uns: Ein Schutzmechanismus zur Erhaltung der Diversität. Vielfalt – das Stichwort der universitären Cross-over-Debatte.

MIT CROSS-OVER AUF DIE ÜBERHOLSPUR

Vielseitigkeit und breit gefächerte Fachkompetenz sind in Wissenschaft und Wirtschaft gern gesehen. Immer umfassendere Anforderungsprofile sind die Folge zunehmender Differenzierung in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen. Sind Cross-over-Studiengänge das Allheilmittel für unrentable Fächer? Die Allzweckwaffe gegen Fachidiotie? Die theoretische Überlegung erscheint vielversprechend. 

Interdisziplinäre Verknüpfung eigenständiger Fächer findet internationalen Zuspruch. Nicht nur im deutschsprachigen Raum rühmen sich Universitäten ihrer Vorreiterrolle, betonen die Erweiterung des Horizonts in alle möglichen Himmelsrichtungen gleichzeitig. Ob alternative Kochkünstler*innen, experimentierfreudige KFZ-Designer*innen oder innovationsversessene Universitäts-Rektor*innen – allseits werden Synergien des Cross-over-Gedankens akzentuiert. Scheinen die zu verschmelzenden Elemente auch noch so inkompatibel

ALTE UND NEUE CROSS-OVER-CHIMÄREN

Auch an der PLUS wolle man „zunehmend Cross-over-Studiengänge etablieren“, vertraute Rektor Hendrik Lehnert dem EntrepreNews-Magazin der Wirtschaftskammer an. Man werde „innerhalb der Universität alles dafür tun, dass wir interdisziplinär zusammenarbeiten“, er „halte gar nichts davon, dass Disziplinen nebeneinander bestehen“. Man ermögliche Student*innen so den „Blick über den Tellerrand“, versicherte Lehnert wiederum der uni:press.

Zentrale Argumente für die Gründung interdisziplinärer Studiengänge seien „die gesellschaftspolitische Entwicklung und die beruflichen Perspektiven der Absolvent*innen“, betont Eva Hausbacher, stellvertretende Leiterin des Fachbereichs Slawistik. Als positives Beispiel führt sie den Bachelor-Studiengang Sprache-Wirtschaft-Kultur an, der „nun – nicht zuletzt aufgrund des großen Erfolges – um ein Masterprogramm erweitert“ werde. Gleichzeitig verweist sie auf die langjährige Tradition von „Cross-over-Formaten“ an der PLUS, verortet deren Wurzeln in „interdisziplinären Ringvorlesungen und Projektstudien, die es in Salzburg seit den 1980er-Jahren“ gäbe. Pionierarbeit hätten dabei in vielen Fällen ihre „Kolleg*innen aus den kulturwissenschaftlichen und philologischen Fächern“ geleistet – „Cross-over ist also seit langem gelebte Praxis an unserer Universität“, lautet ihr Fazit.

Eva Hausbacher, stellvertretende Leiterin des Fachbereichs Slawistik
Foto beigestellt

In aktuelle Cross-over-Pläne eingebundene Fächer sorgen sich indes um ihre Selbstbestimmung. Bedenken, die Rektor Lehnerts rationalistische Auffassung der Cross-over-Idee kaum zerstreut: „Bevor man etwas schließt, überlegt man lieber, wo kann man klug zusammenlegen, wo kann man Cross-over-Studiengänge machen“, erklärte er der uni:press. Dabei seien „transdisziplinäre Forschungen und Studien immer nur so gut wie die disziplinäre Verankerung ihrer Teile. Das tragende Fundament innovativer transdisziplinärer Ansätze bleibt bei aller methodischer und thematischer Öffnung die Spezifik der einzelnen Fächer“, mahnt Hausbacher. Im Sinne „belastbare[r] Cross-over-Profile“ müssten sich die „einzelnen Player in Cross-over-Verbünden stets ihrer disziplinären Verortung bewusst sein“. Noch scheint keine abschließende Einigung auf gemeinsame Zukunftspläne gefunden – gemischte Gefühle um geplante Mischwesen.

„Cross-over ist seit langem gelebte Praxis an unserer Universität.“ 

Eva Hausbacher, stellvertrende Leiterin Fachbereich Slawistik 

GEMEINSAM UND EINZELN STARK

Befürworter*innen interdisziplinärer Studien führen ins Feld, dass vielfältige Perspektiven die Kreativität steigern. Schachteldenken werde aufgebrochen, Stärken verschiedener Fachrichtungen profitabel verquickt. Auch zwischengelagerte Thematiken, die sich dem jeweiligen Fokus der Fächer entzögen, seien besser bearbeitbar. Felix (21), PPÖ-Student im dritten Semester, hält „die Verknüpfung von Philosophie, Politik und Ökonomie“ für durchaus sinnvoll. Diese Kombination habe seine Studienwahl „stark beeinflusst“. Besonders attraktiv sei „der umfassende Blick auf die Welt“. Vielfalt und thematische Aktualität würden ihn motivieren. Da nur eine Auswahl der Lehrveranstaltungen der jeweiligen Studiengänge besucht wird, mache man zwar „Abstriche“ hinsichtlich der Komplexität der einzelnen Fächer. Der „umfassende Einblick“ in „Theorien, Methoden und Themen“ und das Verständnis für gesamtgesellschaftliche Dynamiken seien ihm persönlich jedoch wichtiger als themenspezifische Detailtiefe.

Projekte zur Erweiterung des Cross-over-Angebots stoßen auf Zustimmung: Man sei „keineswegs gegen Reformen“, wolle diese vielmehr „bei den Studienangeboten vorantreiben“, stellt Matthias Heinz, Leiter der Romanistik, klar. Bedingungslos ist diese Unterstützung indes nicht. Zwar hält Eva Hausbacher die „Reformpläne des Rektorats zur Einrichtung neuer Cross-over-Studien“ für unterstützenswert, plädiert aber „vehement für eine gleichzeitige Stärkung der Einzeldisziplinen“.

BEREICHERND BUNTE BEGEGNUNGSZONEN

Die PLUS hat ihre Fähigkeit, Studiengänge zum allseitigen Vorteil zu verknüpfen, bereits mehrfach bewiesen. Das Bachelorstudium Sprache-Wirtschaft-Kultur, das sich zunehmenden Interesses erfreut und die Master-Programme Literatur- und Kulturwissenschaft sowie Sprachwissenschaft sind nur ein paar Kapitel dieser Erfolgsgeschichte. Im Falle von PPÖ sei das Betreuungsverhältnis „sehr gut“, die Gleichberechtigung der Fächer gewährleistet, bestätigt Felix. Die Inhalte seien zwar teils sehr unterschiedlich, das tue deren Kompatibilität aber insgesamt keinen Abbruch. Profil und Eigenständigkeit der Fächer blieben erhalten. Man profitiere von den unterschiedlichen Perspektiven und lerne, Problemstellungen differenziert zu betrachten.

Bei all diesen Vorzügen muss jedoch klar sein: Das große Potenzial von Cross-over-Studiengängen lässt sich nur im demokratischen Diskurs ausschöpfen. Dafür bedarf es „eine[r] Haltung (selbst-) kritischer Reflexion über die Potenziale und Grenzen der eigenen sowie anderer Disziplinen“, fordert Eva Hausbacher. 

Ein Plädoyer für die fruchtbare Zusammenarbeit gleichberechtigter und souveräner Einzeldisziplinen. Zur Bereicherung aller Beteiligten. Gegen Bevorzugung oder Marginalisierung einzelner Fächer aufgrund von Popularität oder Rentabilität: Eine Kreuzung ohne Vorrang, die in bunte wissenschaftliche Begegnungszonen mündet.

Titelbild: Andrea Schernthaner
Dieser Artikel ist im PUNKT. 02/20 erschienen.