Der PUNKT

Für ein Lachen zwischendurch!

Der PUNKT. Redakteur Daniel Ennemoser nimmt euch auf eine verzweifelte Wohnungssuche mit und beschreibt, wie sie ihn in eine viereinhalb Stunden lange Zimmerbesichtigung trieb. Mulmiges Gefühl inklusive.

Pendeln oder zum Studienort ziehen? Diese Frage stellen sich viele Studierende am Anfang des Studiums. Für viele ist der Aufwand des Pendelns zu hoch und auf der anderen Seite wird das Wohnen in Salzburg gerade für viele Studierende immer weniger leistbar. Also was tun?

Odyssee

Ich habe neunzehn Anfragen – ungeachtet, ob für ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft, einen Platz in einem Studierendenheim oder für eine Wohnung – ausgeschickt. Neunzehn Anfragen! Eine einzige Person antwortet; und leider ist es die mit der suspektesten Anzeige. Es ist die einzige Annonce, die keine Bilder hat und im Grunde nur aus drei Zeilen besteht, die beschreiben, was in Gehweite alles erreichbar sei und ausgerechnet hier bekomme ich eine Antwort. Warum ich mich trotzdem ‚beworben‘ habe? Der Preis stimmt und die Lage auch. Ich bekomme also eine E-Mail um drei Uhr früh mit zahlreichen Rechtschreibfehlern, ich solle mich bitte als bald als möglich melden. Prost!

Erstkontakt

Ich rufe am nächsten Tag um die Mittagszeit sofort an und reiße meine Gesprächspartnerin, Renate, offensichtlich aus dem Schlaf. Oje! Um ihrer anfänglichen Verwirrtheit entgegenzuwirken, stelle ich mich vor und schlage ihr den morgigen Tag als Besichtigungstermin vor. Wegen der Uhrzeit würde ich mich noch melden, sage ich ihr.

Drei Stunden später frage ich sie, ob 12 Uhr in Ordnung sei. Daraufhin schreibt sie prompt zurück: „Wer ist da? Worum geht’s?“ Um ihrer Unschlüssigkeit ein weiteres Mal entgegenzuwirken, erkläre ich ihr, wer ich bin und bekomme nach langem Zögern endlich meinen Termin bestätigt.

Salzburg

Ich bin gerade auf dem Weg zur angegebenen Adresse. Es ist wirklich eine tolle Lage und all die Eltern und Kinder in den Einfamilienhäuschen winken mir auf meinem Weg zu. Es ist wie im Bilderbuch. Fünf Minuten vor zwölf rufe ich an und gebe Bescheid, dass ich da bin. Daraufhin entgegnet sie am Telefon: „Wer ist da? Worum geht’s?“ Um ihrer schier endlosen Ratlosigkeit zum letzten Mal entgegenzuwirken, liste ich chronologisch unsere Kontaktaufnahmen auf und frage sie, ob sie Zuhause sei. Ja!

Das Haus

Ich trete ein. Es ist als würde man Oma und Opa in Südtirol besuchen: ein altes, schönes Haus, viele Barockmöbel, ein großer Garten –  ein Traum! Wir steigen die Treppen hoch in den ersten Stock. Sie führt mich in ein geräumiges Zimmer, welches ich ohne weitere Zahlung vollmöbliert übernehmen kann. Plötzlich erfahre ich, dass sie (trotz Hauptwohnsitz in Salzburg) das ganze Jahr in Australien lebt und erst vor zwei Tagen zurückgekommen ist. Sie leidet noch unter dem Jetlag – deswegen die E-Mail um drei Uhr früh! Gott sei Dank. Meine Vorurteile haben sich in Luft aufgelöst. Damit wieder Ordnung herrscht, hat sie gestern den gesamten Garten umgegraben und zugeschnitten. Just in diesem Moment hupt die Müllabfuhr vor der Einfahrt und möchte das Geäst abholen.

Mittendrin statt nur dabei

Renate drückt mir einen Rechen in die Hand, während sie selbst in die Knie geht und mit den Händen affenartige Bewegungen macht, um das Laub zu einem Haufen zu formen. Der Mann von der Müllabfuhr steigt aus, zündet sich eine Zigarette an und beobachtet uns leicht amüsiert. Ich werde gebeten, den Baum vom Efeu zu befreien. Gesagt, getan! Und als ich die Zweige in den Anhänger schmeiße, bestätigt mir der Mann nach kurzem Gespräch, dass ich mir das Zimmer spätestens jetzt redlich verdient hätte! 

Mulmiges Gefühl

Fertig! Die Gartenarbeit ist erledigt. Der Mann beendet seine sechste Zigarette, ladet die letzten Sträucher ein und fährt davon. Renate und ich begeben uns wieder ins Haus und sie zeigt mir die übrigen Räume. Als wir durch das Wohnzimmer gehen, fallen mir die zahlreichen Briefe von niemand geringerem als der Landespolizeidirektion und der Staatsanwaltschaft Salzburg auf. Die Vorurteile gehen mit mir durch. Verbergen sich hinter den Schranktüren nun auch noch bündelweise 500er Scheine und ein Waffenarsenal?

Mir wird erklärt, dass Renate mich zum Haussprecher ernennen möchte. Als Haussprecher definiert sie eine Person, die sie auf dem Laufenden hält und mindestens einmal die Woche mit ihr telefoniert; jemand, der ihr die Post öffnet, einscannt und schickt; jemand, der Zugang zu ihrem privatem Sparbuch hat, falls ihr in Australien etwas passieren sollte. Sie betont weiters, wie wichtig ihr ist, dass ich an der Auswahl und beim Kennenlernen anderer Interessenten*innen teilnehme, damit das Miteinander schlussendlich stimmig ist.

Als ich ihr zustimme, dass das natürlich wichtig sei, erspähe ich wie sie einen anderen Bewerber per WhatsApp fragt, ob er mit mir als potentiell zukünftiger Haussprecher telefonieren möchte. Im Zuge des weiteren Chatverlaufs wird mir bewusst: Dieser andere Bewerber hat noch nie mit ihr, der Vermieterin, gesprochen, geschweige denn auch nur ein Foto von seinem möglichen zukünftigen Zimmer zu Gesicht bekommen. Seine logische Reaktion ist also: „Warum sollte ich mit ihm telefonieren?“ Sie reagiert schnell und schreibt zurück: „Anhand deiner Reaktion sehe ich schon, dass unsere Erwartungen in vollkommen getrennte Richtungen gehen. Alles Gute für deine Wohnungssuche in Salzburg!“

Telefonat

Er kratzt noch die Kurve und schiebt die letzten Zeilen auf ein Kommunikationsmissverständnis – natürlich würde er gerne mit eine Daniel (das bin ich) telefonieren. Renate ist überzeugt, ruft ihn an, drückt auf Lautsprecher und mir das Telefon in die Hand; und das ist der Beginn eines siebenunddreißig Minuten langen Gesprächs mit einem ganz lieben Tom aus Hannover. Dieser arme Mann ist das gesamte Telefonat durch so perplex, dass sein Hauptgesprächsanteil nur aus „mhm, ja und ok“ besteht. Nach diesem Bewerbungsgespräch, das eher einem Verhör aus Guantanamo gleicht, schaffe ich es, aufzulegen und Renate zu vermitteln, dass ich mich schon langsam auf den Heimweg machen müsste. Sie übermittelt mir die Namen, E-Mail-Adressen und Telefonnummern der anderen Bewerber*innen und der Vormieter*innen, damit ich mich auch informieren kann, wie die früheren Haussprecher*innen das gemeistert haben.

Sie betont nochmals, wie wichtig ihr sei, dass ich die anderen Interessent*innen kennenlerne. Ich entgegne ihr: „Renate, nichts auf der Welt könnte mir wichtiger sein. Allerdings bin ich jetzt doch schon vier Stunden hier und würde schon langsam gerne weg!“ In drei Stunden würde aber noch ein Bewerber kommen, dann könnte ich den auch gleich kennenlernen. Stille. Ich will schon fast einen Familiennotfall vortäuschen, als sie plötzlich einsichtig wird und mir den Weg zur Haustür freimacht. 

Eine letzte Geschichte

Ich bin schon mit einem Fuß aus der Tür, als sie mir noch eine Geschichte erzählt. Ich würde im Nachhinein gerne von „Transport“ reden, aber so wie Renate mir die Geschichte geschildert hat, ist der Begriff „Transport“ nicht der Richtige. Sie schmuggelt Hunde von Russland nach Österreich und von Österreich weiter nach Australien. Im Anschluss zeigt sie mir noch fünfzig Hundefotos und entlässt mich dann.

Sie schmuggelt Hunde von Russland nach Österreich und von Österreich weiter nach Australien.

Ich eile aus dem Haus und unterdrücke Tränen der Überforderung. Nächstes Ziel: die Weinbar meines Vertrauens. In einem Sprint-Tempo bewege ich mich dort hin und kippe in fünf Minuten ein Viertel. Jetzt geht’s wieder. Ich bleibe noch kurz sitzen und nehme dann den nächsten Zug nach Hause nach Tirol. Auf dem Weg recherchiere ich und finde heraus: Renate ist Psychiaterin. Ich finde zahlreiche englische Bewertungen von australischen Patienten*innen, in denen steht, sie sei empathielos, verfüge über kein Gespür für ihre Mitmenschen. Eine Patientin schreibt sogar, sie sei akut suizidgefährdet zu Renate gegangen und diese habe sie zu einem Kollegen weitergeschickt. Das ist meine Renate!

Ein letzter Besuch

Es hat sich leider immer noch niemand anderes gemeldet und in drei Wochen ist Studienbeginn. Lange Rede, gar kein Sinn. Ich bin wieder zu Renate gefahren. Ich stehe vor dem Gartentor und finde sie im Gras liegend mit einer Gabel in der Hand das Unkraut jätend vor. Wir gehen ins Haus und sie druckt mir viermal in Folge meinen Mietvertrag aus (einmal hat das Datum, einmal mein Name, einmal die Miete und einmal die Kaution nicht gepasst). Sie legt ihn mir vor und wünscht, dass er in fünf Minuten unterschrieben ist. Ich beginne einen der gnadenlosesten Mietverträge, den ich je zu Gesicht bekam, zu lesen.  Das einzige, was ich ohne Konsequenzen und drohender Mietvertragskündigung machen darf, ist laut Vertrag eigentlich nur atmen.

Mit der Ausrede, einen Termin zu haben, schaffe ich es aus dem Haus und möchte ihr noch am gleichen Tag Bescheid geben. Aber es stellt sich eine Migräne ein, wie ich sie noch nie hatte und ich trete meine Heimreise nach Tirol an. Natürlich nicht ohne ihr zu schreiben, dass ich leider noch bis morgen Bedenkzeit brauche. Sie antwortet, ich hätte genug Bedenkzeit gehabt und diese Nachricht sei ein gravierender Vertrauensbruch. Ich entschuldige mich, wünsche ihr alles erdenklich Gute und biete ihr an, sie könne sich melden, falls sie noch irgendetwas benötige. Renate kontert: „Was sollte ich jetzt noch brauchen? Du weißt doch, ich brauche immer was ;).“

Ich verstehe es nicht.

Wie bin ich zu meiner jetzigen Wohnung in Salzburg gekommen?

Dreistigkeit. In meiner Verzweiflung habe ich eine alte Schulkollegin angeschrieben. Sie war in der Parallelklasse und ich hatte ihre Nummer nur, weil wir gemeinsam im Dekorationskomitee des Maturaballs waren. Sie bekam aus heiterem Himmel von mir eine Nachricht, die ungefähr so aussah: „Hallo Laura! Fünf Jahre schon nichts mehr gehört. Geht es dir gut? Du wohnst in Salzburg, stimmts‘?“ Ich habe ihr die Situation geschildert und sie hatte dann tatsächlich eine Nummer für mich. Was lernt man daraus: Nie Nummern löschen und immer zum Geburtstag gratulieren! 😉

Text: Daniel Ennemoser
Foto:  Shahid Abdullah / Pixabay 
Dieser Artikel ist im PUNKT. 01/20 erschienen.